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Schnee unterm Schuh

Aktualisiert: 25. Nov. 2020


Es ist einer dieser glasklaren Wintertage. Es ist eisig, aber die Sonne scheint nichtsahnend aus dem hellblauen Himmel und so beschließt du raus zu gehen. In deiner Nähe gibt es ein Waldgebiet mit einem kleinen See. Du warst länger nicht mehr dort und du willst mit einem Nachmittagsspaziergang die Erinnerungen neu beleben. Du überlegst kurz die Mütze und die Handschuhe liegen zu lassen. Würde der Schnee nicht liegen, könnte man meinen, es muss Sommer sein. So warmblau ist der Himmel. Aber du kennst diese trügerisch sonnigen Wintertage. Du steckst die flauschige Mütze und ledrigen Handschuhe zuerst nur in die Jackentasche. Etwas warme Sonne soll ruhig auf dein Gesicht und die Hände fallen. Du schließt die Tür hinter dir und freust dich auf die weiße Stille in die du dich gleich begibst. Die Bäume sind reichlich mit zuckerwattrigem Puder bedeckt. Du erkennst die einzelnen Äste auf denen eine Schicht funkelnder Schnee liegt. Du gehst achtsam den kleinen Waldpfad entlangt, umringt von weißblättrigen großen Riesen. Du atmest die kalte Luft tief durch die Nase ein und bläst sie durch den Mund wieder aus. Es gefällt dir, die warme Rauchwolke vor deinen Augen aufsteigen zu sehen. Das hast du als Kind schon gerne gemacht. Nach einer Weile kommst du an den See. Er ist zugefroren und wird von einer glitzernden Decke aus Schnee umarmt. Du setzt dich auf die dickbeschneite Bank, um die weiße Winterlandschaft ganz achtsam in dich aufzunehmen. Du siehst wie sich die Baumwipfel dem kalten Wind samt hingeben. Das hin und her schwenken lässt dich zur Ruhe kommen. Du atmest erneut tief ein und spürst die kühle Luft durch deinen Hals strömen. Das tiefe Atmen versetzt dir kleine Stiche in Nase und Rachen. Du genießt das Piecksen. Es bedeutet das du lebst. Du greifst nach den Handschuhen und der Mütze in deiner Tasche und nickst dir selbst anerkennend zu. Du wusstest du würdest sie brauchen. Das Sitzen auf der eingeschneiten Bank hat dich auskühlen lassen und so bist du über die warmen Mitbringsel von deiner Garderobe froh. Du kannst der eisigen Glitzerdecke auf dem See nicht widerstehen. Du gehst vorsichtig ein paar Schritte und genießt das Knirschen des Schnees unter deinen Schuhen. Du hörst ganz genau hin und versuchst den richtigen Winkel zu erhaschen, bei dem das Knirschen besonders laut ist. Der Schnee tönt anders, je nachdem mit welcher Geschwindigkeit und welchem Druck du voranschreitest. Du probierst dich aus, bis du die richtige Kombination entschlüsselt hast. Du machst Musik mit deinen Schuhen. Die Vibration der Klänge dringt über deine Sohlen in dich ein und du erwischt dich beim sanften Tanzen über dem zugefrorenen See. Kann das Leben schöner sein? Die Antwort ist dir egal. Du bist jetzt und hier. Du spürst die klirrende Kälte auf deiner Haut. Deine Lippen sind schon ganz rauh und trocken. Aber auch das hat jetzt keine Bedeutung und so beschließt du ein weiteres Musikstück aus Schnee und Eis mit deinen Sohlen zu komponieren. Nein, schöner wird es nicht.

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